April 2016

Neues aus der Rechtsprechung

Fehlt zwischen der Einrichtung und dem Bewohner ein wirksamer Heimvertrag, hat die Einrichtung einen Vergütungsanspruch nach den Prinzipien der Geschäftsführung ohne Auftrag.

(Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.10.2015, L 20 SO 255/12)

Das LSG Nordrhein-Westfalen hatte u.a. darüber zu entscheiden, ob das Sozialamt im Rahmen des zivilrechtlichen Schuldbeitritts für den Bewohner an die Einrichtung Eingliederungshilfeleistungen zu zahlen hatte, obwohl es an einem wirksamen zivilrechtlichen Heimvertrag zwischen der Einrichtung und dem Bewohner fehlte.

Eine Einrichtung für Wohnungslose hatte im Jahr 1992 den damals von Wohnungslosigkeit bedrohten, alkoholkranken Kläger aufgenommen. Ein schriftlicher Heimvertrag wurde nicht geschlossen. Erst nach Einführung des WBVG schlossen die Einrichtung und der Kläger einen rückwirkenden Vertrag. Allerdings hielt das LSG den Kläger bereits seit 1992 für geschäftsunfähig, so dass ein wirksamer Heimvertrag zu keinem Zeitpunkt zustande gekommen war.

Aus Sicht des Gerichts ist das Sozialamt trotzdem zur Entrichtung der Vergütung für die erbrachten Eingliederungshilfeleistungen verpflichtet, da die Einrichtung die Leistungen im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA; §§ 683, 677 BGB) erbracht hatte.

Eine GoA liegt vor, wenn jemand für einen anderen ein Geschäft besorgt, ohne dass dieser ihn beauftragt hat oder er sonst dazu berechtigt wäre. Aus Sicht des LSG hatte die Einrichtung als "Geschäftsführer ohne Auftrag" die Eingliederungshilfeleistungen für den Kläger erbracht. In einem solchen Fall dürfe die Einrichtung Ersatz ihrer Aufwendungen vom Kläger verlangen, vorliegend also die eigentlich im Heimvertrag zu vereinbarende Vergütung. Hinsichtlich dieses Aufwendungsersatzanspruchs trete der Sozialhilfeträger im Wege des Schuldbeitritts bei und habe damit die Vergütung der erbrachten Leistungen an die Einrichtung zu entrichten.

Anmerkung:

Es kommt überraschend häufig vor, dass Wohn- und Betreuungsverträge keine oder keine wirksamen Vergütungsvereinbarungen enthalten. Dies führt bei einem Rechtsstreit zwischen dem Bewohner und dem Sozialamt vor dem Sozialgericht oder zwischen der Einrichtung und dem Sozialamt vor dem Zivilgericht wegen Begleichung offener Rechnungen immer wieder zu der Situation, dass eine Klageabweisung droht, weil aus Sicht des Gerichts kein Zahlungsanspruch mangels einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung besteht.

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat hier für die Einrichtungen, die es betrifft, einen Ausweg aufgezeigt. So können die erbrachten Leistungen doch noch vergütet werden, auch wenn der eigene Heimvertrag handwerklich mangelhaft ist.

Allerdings bleibt abzuwarten, ob das Bundessozialgericht dieser Rechtsprechung folgt. Dort ist derzeit die Revision anhängig.


Wirksamkeit einer Erbschaft zugunsten der Einrichtung

(Urteil des OLG Frankfurt vom 12.05.2015, 21 W 67/14, und Beschluss des BGH vom 26.10.2011, IV ZB 33/10)

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hatte darüber zu entscheiden, ob ein Erbvertrag wirksam ist, den eine pflegebedürftige Person mit der Geschäftsführerin eines ambulanten Pflegedienstes geschlossen hatte.

Die Erblasserin war von dem ambulanten Pflegedienst bis zu ihrem Tod betreut worden. Dabei hatten sich freundschaftliche Beziehungen zwischen der Erblasserin und der Geschäftsführerin des Pflegedienstes entwickelt. Mangels anderer Erben schlossen beide einen Erbvertrag, in dem die Geschäftsführerin zur Alleinerbin eingesetzt wurde.

Das OLG Frankfurt zog auf die Beschwerde des Hessischen Regierungspräsidiums einen nach dem Tod der Erblasserin bereits erteilten Erbschein wegen dessen Unrichtigkeit ein. Gemäß § 7 Abs. 2 des Hessischen Gesetzes über Betreuungs- und Pflegeleistungen (HGBP) durfte sich die Geschäftsführerin nicht zur Alleinerbin einsetzen lassen. Allein die Darlegung freundschaftlicher Beziehungen zwischen ihr und der Erblasserin reichten für die Widerlegung der Vermutung nicht aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Erbeinsetzung und den vertraglichen Beziehungen aufgrund des Pflegevertrags bestanden hatte.

Bereits im Jahr 2011 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) darüber zu entscheiden, ob die Einsetzung einer stationären Behindertenhilfeeinrichtung zum Nacherben zulässig war.

Die Eltern eines Bewohners hatten diesen zum Vorerben eingesetzt und die Wohneinrichtung, in der er lebt, zum Nacherben nach seinem Versterben. Die Behindertenhilfeeinrichtung hatte zu Lebzeiten der Erblasser keine Kenntnis von ihrer Einsetzung als Nacherbe. Erst nach Versterben der Eltern wurde ihr die Erbeinsetzung bekannt.

Der BGH kam hier zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen § 14 Abs. 1 HeimG vorliegt. Ein solcher sei nur dann anzunehmen, wenn sich der Heimträger oder dessen Mitarbeiter vom Erblasser etwas "versprechen oder gewähren" lassen. Aufgrund der Unkenntnis der stationären Einrichtung von der Einsetzung als Nacherbe liegt kein Verstoß gegen § 14 Abs. 1 HeimG vor. Dies gelte sowohl für eine stillschweigende Erbeinsetzung des Heimträgers durch den Bewohner selbst als auch durch Dritte.

Hinweis:

Das im Heimgesetz geregelte Zuwendungsverbot ist mittlerweile in alle Landesheimgesetze übernommen worden. Geklärt ist nunmehr, dass die stationäre Einrichtung bzw. der ambulante Dienst keine Kenntnis von der Einsetzung als Erbe haben darf, unabhängig davon ob diese durch den Betroffenen oder seine Angehörigen erfolgte.


Neues aus der Gesetzgebung

Informationspflichten für stationäre Einrichtungen und ambulante Dienste ab 01.02.2017 durch das Verbraucherstreitbeilegungs-Gesetz und das WBVG

 

Am 1. April 2016 ist das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) in Kraft getreten. Das VSBG regelt die Möglichkeiten der Verbraucher in Verbraucherstreitigkeiten mit Unternehmern zukünftig eine außergerichtliche Schiedsstelle anzurufen, anstelle die Streitigkeit vor Gericht auszutragen.

Das Verfahren vor den anerkannten Schlichtungsstellen soll grundsätzlich kostenfrei sein. Das Verfahren ist für alle Beteiligten freiwillig. Am 1. April 2016 hat zeitgleich mit Inkrafttreten des Gesetzes die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle mit Sitz in Kehl am Rhein ihre Tätigkeit aufgenommen (www.verbraucher-schlichter.de). Es ist sehr wahrscheinlich, dass diverse weitere Schlichtungsstellen in naher Zukunft deutschlandweit eingerichtet werden.

Das Bundesamt für Justiz hat am 6. April 2016 eine Liste der Zuständigkeiten der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle veröffentlicht. Danach soll eine außergerichtliche Schlichtung u.a. in der Rubrik "Gesundheit" für "Altenheime und häusliche Pflege" sowie für "Andere" durchgeführt werden. Unter "Andere" dürften stationäre und ambulante Behindertenhilfeeinrichtungen fallen, auf die das VSBG ebenfalls Anwendung findet.

Zum 1. Februar 2017 treffen die betroffenen Unternehmer gemäß §§ 36, 37 VSBG umfangreiche Informationspflichten gegenüber den Verbrauchern als Vertragspartner:

  1. Unternehmer haben auf ihrer Webseite und in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen die Verbraucher darüber zu informieren, ob sie bereit und verpflichtet sind, an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle teilzunehmen.
  2. Diese Informationen müssen leicht auffindbar sein.
  3. Ein Unternehmer, der sich dazu verpflichtet, an einer solchen Streitbeilegung teilzunehmen, muss deutlich darauf hinweisen bzw. eine entsprechende Verpflichtungserklärung abgeben und die Verbraucherschlichtungsstelle mit Anschrift und Webseite angeben.
  4. Nur Unternehmer, die höchstens 10 Personen beschäftigen, sind von den dargestellten Verpflichtungen befreit.
  5. Ist eine (Rechts-)Streitigkeit bereits entstanden, so hat der Unternehmer den Verbraucher auf das mögliche Schlichtungsverfahren hinzuweisen, wenn die Streitigkeit nicht anderweitig beigelegt werden konnte.
  6. Unternehmer, die unter den Anwendungsbereich des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) fallen, müssen zum 1. Februar 2017 ihre Wohn- und Betreuungsverträge ergänzen  um die unter 1. und 3. dargestellten Informationen (§ 6 Absatz 3 Nr. 4 WBVG).

Über unsere aktuellen Seminar- und Vortragsthemen können Sie sich auf unserer Webseite informieren.

www.vandrey-hoofe.de/veranstaltungen/

 

Fotos: © Joe Miletzki (Bundesgerichtshof)


Impressum:

Christine Vandrey & Barbara Hoofe
Rechtsanwältinnen in Partnerschaft
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