03/2018

Neues aus der Rechtsprechung

Sozialhilfeträger können selbst mitausgehandelte Pflegesätze nicht als "unverhältnismäßige Mehrkosten" ablehnen.

(Bundessozialgericht, Urteil vom 05.07.2018, B 8 SO 30/16 R)

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte darüber zu entscheiden, ob der Landkreis Oberhavel als beklagter Sozialhilfeträger für den Zeitraum Juli 2009 bis Juli 2014 insgesamt rund 11.500,- € offene Heimkosten des klagenden Pflegeheimträgers im Rahmen der Hilfe zur Pflege zu übernehmen hatte.  

Die Klägerin betreibt eine landesrechtlich nicht geförderte stationäre Pflegeeinrichtung. Zunächst hatte die betroffene Bewohnerin selbst gegen den Sozialhilfeträger geklagt, verstarb allerdings nach dem Abschluss des Berufungsverfahrens vor dem LSG Berlin-Brandenburg. Die Pflegeeinrichtung setzte das Revisionsverfahren vor dem BSG als Sonderrechtsnachfolgerin nach § 19 Abs. 6 SGB XII fort.

Der beklagte Sozialhilfeträger hatte die Kostenübernahme in der Einrichtung der Klägerin abgelehnt, da der Kostensatz in der Einrichtung um rund 1/5 höher lag als der anderer Einrichtungen in der näheren und weiteren Umgebung. Die günstigeren Kostensätze der Vergleichseinrichtungen ergaben sich daraus, dass diese vom Land Brandenburg hinsichtlich ihrer Investitionskosten gefördert werden.

Das BSG verurteilte den Sozialhilfeträger im Wesentlichen zur Zahlung der offenen Heimentgelte im Rahmen der Hilfe zur Pflege. Die der Klägerin geschuldeten Entgelte entsprächen ihrer Höhe nach den Pflegesätzen nach dem SGB XI. An den entsprechenden Pflegesatzverhandlungen sei der Beklagte beteiligt gewesen und habe den getroffenen Vereinbarungen nicht widersprochen. Daher sei er an die ausgehandelten Pflegesätze gebunden. Die Höhe der Investitionskosten habe der Beklagte sogar direkt mit der Klägerin verhandelt.

Aus Sicht des BSG sind damit die vereinbarten Vergütungen als wirtschaftlich anzusehen und stellen schon deshalb keine "unverhältnismäßigen Mehrkosten" nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII dar.

Anmerkung:

Das Urteil des BSG, das bisher nur als Terminsbericht vorliegt, verdeutlicht, dass die zwischen den Kostenträgern (Pflegekassen, Sozialämter) und den Pflegeeinrichtungen ausgehandelten Kostensätze von den Sozialämtern nicht pauschal als unwirtschaftlich angesehen werden dürfen, wenn sie höher liegen, als die anderer Pflegeeinrichtungen im Umfeld.

Die Entscheidung schließt an das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.09.2016 an, über das wir bereits im Newsletter Altenpflege 01/2017 berichtet hatten.


Neues aus der Gesetzgebung

Die wichtigsten Änderungen des Mutterschutzgesetzes (Teil 1)

 

Am 01.01.2018 ist das reformierte Mutterschutzgesetz (MuSchG) in Kraft getreten, das diverse Anpassungen und Neuregelungen im Bereich des Schutzes von schwangeren und stillenden Frauen brachte. In diesem und dem Newsletter Altenpflege 04/2018 werden Ihnen die wesentlichen Neuregelungen vorgestellt.

Gemäß § 1 MuSchG wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes auf alle beschäftigten Frauen im sozialversicherungsrechtlichen Sinne erweitert. Ausdrücklich mit aufgenommen wurden Schülerinnen, Studentinnen, Praktikantinnen, Beschäftigte in Behindertenwerkstätten, Frauen im Bundes- oder Jugendfreiwilligendienst und Mitarbeiterinnen einer geistigen Genossenschaft.

Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 MuSchG muss ein Arbeitgeber der Mutter auf Antrag eine verlängerte nachgeburtliche Schutzfrist von 12 Wochen gewähren, wenn sie ein behindertes Kind geboren hat. Der Nachweis über die Behinderung des Kindes i.S.d. § 2 SGB IX muss innerhalb von acht Wochen nach der Geburt durch ein ärztliches Attest erbracht werden.

Wie bisher ist Mehrarbeit für schwangere und stillende Frauen untersagt. Über 18jährige Frauen dürfen maximal 8,5 Stunden am Tag bzw. 90 Stunden innerhalb von zwei Wochen beschäftigt werden. Bei unter 18jährigen Frauen ist die tägliche Arbeitszeit auf 8 Stunden begrenzt. Sie dürfen maximal 80 Stunden in zwei Wochen beschäftigt werden. Der Arbeitgeber muss eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden gewähren (§ 4 MuSchG).

Schwangere und stillende Frauen dürfen zwischen 20.00 Uhr und 06.00 Uhr nicht beschäftigt werden. Für alle Berufsgruppen gilt jetzt, dass der Arbeitgeber für eine Beschäftigung zwischen 20.00 Uhr und 22.00 Uhr eine Ausnahmegenehmigung bei der zuständigen Behörde beantragen kann, wenn

  • sich die Frau dazu ausdrücklich bereit erklärt,
  • ein ärztliches Attest hinsichtlich der Unbedenklichkeit vorliegt und
  • eine unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau oder ihr Kind durch Alleinarbeit ausgeschlossen ist (§ 28 MuSchG).

Weitere Ausnahmegenehmigungen für den Einzelfall sind in § 29 Abs. 3 Nr. 1 MuSchG geregelt.

Es besteht das grundsätzliche Verbot, schwangere und stillende Frauen an Sonn- und Feiertagen zu beschäftigen. Allerdings kann sich die betroffene Frau ausdrücklich im Rahmen der Regelungen des Arbeitszeitgesetzes dazu bereit erklären, auch an Sonn- und Feiertagen tätig zu werden (§ 6 MuSchG). Es muss insbesondere sichergestellt werden, dass die betroffene Frau nicht alleine arbeitet. Ihr ist pro Arbeitswoche dann ein Ersatzruhetag  zu gewähren.

Neu geregelt wurde, dass eine stillende Mutter nur noch in den ersten zwölf Monaten nach der Entbindung (bisher nicht zeitlich begrenzt) einen Anspruch auf Freistellung zum Stillen in bestimmten zeitlichen Grenzen täglich hat (§ 7 Abs. 2 MuSchG).


Die Vereinbarung nach § 115 SGB XI über das Verfahren zur Kürzung der Pflegevergütung ist in Kraft.

 

Bereits im Newsletter Altenpflege 03/2017 wurde auf die erweiterten Regelungen zur Vergütungskürzung hingewiesen, die mit einer Änderung des § 115 SGB XI eingeführt worden waren. Am 22.12.2017 wurde die Vereinbarung nach § 115 Abs. 3b SGB XI im Qualitätsausschuss Pflege beschlossen.

Die Vereinbarung regelt das Verfahren zur Kürzung der Pflegevergütungen. Eine Pflegeeinrichtung hält ihre Verpflichtung zur qualitätsgerechten Leistungserbringung gemäß §§ 72 und 84 Abs. 5 und 6 SGB XI nicht ein, wenn sie

  • planmäßig und zielgerichtet gegen die vereinbarte Personalausstattung verstößt,
  • nicht nur vorübergehend die vereinbarte Personalausstattung unterschreitet oder
  • die den Pflegesatzvereinbarungen zu Grunde gelegten Gehälter nicht bezahlt.

In diesen Fällen wird eine Pflichtverletzung unwiderlegbar vermutet.

Die Vereinbarung nach § 115 Abs. 3b SGB XI regelt in den §§ 1a bis 1c, wann die vorgenannten Pflichtverstöße vorliegen sollen. Die Verfahren zum Personalabgleich und zum Nachweis nichtgezahlter Gehälter, die die vorgenannten Pflichtverstöße belegen oder widerlegen sollen, sollen durch die Vertragspartner auf Länderebene in den Rahmenvereinbarungen nach § 75 SGB XI geregelt werden. In den Pflegesatzvereinbarungen nach § 85 SGB XI soll die Höhe eventueller Vergütungskürzungen bei festgestellten Pflichtverstößen verhandelt werden.

Zahlungsempfänger des Kürzungsbetrags sind nach § 5 der Vereinbarung vorrangig die betroffenen pflegebedürftigen Personen und darüber hinaus die leistenden Kostenträger (Sozialämter und Pflegekassen). Die Rückzahlungsempfänger sind schriftlich über die Rückzahlung und deren Gründe zu informieren.

Die Vereinbarung nach § 115 Abs. 3b SGB XI im Wortlaut finden Sie hier.


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Foto: © Dirk Felmeden (Bundessozialgericht)


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